Das ganz alltägliche Rollenspiel


Isabella Reicher, Der Standard / 17.10.2008  [>]

Besuchserlaubnis: Tina Leischs “Gangster Girls” geben Einblick in Gefängnisalltag

Wie man nicht nur den Widerspruch zwischen einer Bildaufzeichnung und der Notwendigkeit von Anonymisierung überwindet, das zeigt dieser Film gleich zu Beginn: Münder, Gesichter verschwinden da unter kunstvoll aufgetragener dicker Schminke, Haare unter Perücken oder Mützen. Aus Menschen werden so ein Stück weit Kunstfiguren, aber die Umstände, unter denen sie leben, bleiben real.

Die Frauen, die aussehen wie schillernde Clowns oder deren Gesichter in der Unschärfe jeweils verschwimmen, während andere Bildebenen gestochen scharf bleiben, sitzen alle in der Haftanstalt Schwarzau ihre Strafen ab. Es hat sie aus unterschiedlichen Gründen und Gegenden hierher verschlagen: aufgrund von Delikten, die unter den Sammelbegriff der Beschaffungskriminalität fallen; weil sie als Kurierinnen Drogen ins Land geschmuggelt haben; wegen Betrugs oder wegen Mordversuchs.

Man hört diese Dinge im Dokumentarfilm Gangster Girls aus ihrem Munde. Manche haben ihre Verbrechen aus Liebe begangen, andere haben die Liebe hinter Gittern gefunden. Einmal erzählt eine, wie ihre kriminelle Karriere gewissermaßen als Kinderspiel begann, das direkt in den Ernst des Lebens überging.

Auch in Gangster Girls selbst wird gespielt: auf einer Bühne werden Gesangs- und Tanznummern einstudiert und mehr. Die Text-, Theater- und Filmarbeiterin Tina Leisch hat ihren Dokumentarfilm Gangster Girls nämlich, so erfährt man im Abspann, “während der Erarbeitung des Theaterstücks Medea bloß zum Trotz mit Gefangenen der Justizanstalten Schwarzau und Gerasdorf” gedreht. Der Film ist allerdings in keinem Moment das Nebenprodukt eines ihm vorrangigen kreativen Prozesses. Vielmehr macht er die Ebene des Theaterspielens noch einmal in besonderer Weise für sich produktiv: Zum einen in Form der eingangs beschriebenen Maskierung, die die einzelnen Individuen immer auch ein Stück weit abstrahiert. Zum anderen greift diese Erweiterung auch im Hinblick auf die Erzählungen der Frauen. Diese tauchen als Interviews auf - dabei erhält man nebenbei Einblick in die Räume und Tätigkeiten, die den Alltag im Gefängnis strukturieren:die Zimmer und Gänge, die Großküche, die Wäscherei und die Schneiderwerkstatt. Aber das Erlebte findet sich auch bereits in Überarbeitung wieder - in Form von Minidramen, als szenische Reflexion von Standardsituationen oder biografischen Erfahrungen.

Diese Übersetzungsarbeit scheint nicht zuletzt nach zwei Seiten zu funktionieren, die Theater- und Filmarbeit dient auch der Verarbeitung des Zusammenlebens als Zufalls-, Zwangs- und Zweckgemeinschaft. Womit Gangster Girls schließlich auf ganz beiläufige Weise das Potenzial künstlerischer Kooperationen mit und Interventionen in gesellschaftliche Institutionen dokumentiert.

Zwei Bemerkungen noch: Der Kameramann, der hier die Umsetzung des strengen und klaren Konzepts in Bilder verantwortet, ist wie im Fall von Händl Klaus’ März Gerald Kerkletz. Und: Im Zusammenhang mit Theaterproduktionen in Gefängnissen scheinen außergewöhnlich häufig auch sehr interessante Filme zu entstehen. Das wäre fast schon ein eigenes Special wert.