“Gangster Girls”: Frauen die Macht geben, sich selbst zu präsentieren


dieStandard.at, 19.10.2008  [>]

Filmemacherin Tina Leisch hat Insassinnen des Frauengefängnisses Schwarzau dokumentarisch begleitet und zeigt die Menschen hinter den Täterinnen

Lange, farblose Gänge und zufallende Türen, gepixelte Gesichter und erklärende Zahlen, Daten und Fakten - so stellt man sich gemeinhin eine Gefängnis-Dokumentation vor. In Tina Leischs Doku “Gangster Girls”, die am Montag bei der Viennale uraufgeführt wird, gibt es nichts davon. Keine ErzählerInnenstimme, keine Informationen, keinen scheinbaren Alltag - und vor allem: keine Distanz. Da sind nur die Frauen und die Kamera. Ihre Geschichten. Und ihr eigener, berührend unmittelbarer Weg, sie zu inszenieren.

Gespenstische Diven

Entstanden ist die Idee zum Film durch einen gemeinsamen Theaterworkshop in den Gefängnissen Schwarzau und Gerasdorf, in dessen Rahmen die “Medea” erarbeitet und aufgeführt wurde. Mit Improvisationen aus dem Gefängnisalltag, mit nachgespielten Szenen, von den Frauen selbst eingebracht, hatte man sich dem antiken Stoff angenähert. Im Film werden diese Improvisationen zur genuinen Quelle über den sozialen Lebensraum hinter Gittern. 

“Ich will sie nicht küssen.” Jason bricht die Probe ab. Er habe gehört, Medea hätte Aids. Eine Infizierte hätte ihr Drogen besorgt. “Ich weiß jetzt, dass alles okay ist”, sagt Medea. Sie habe sich nicht angesteckt, absichtlich habe man ihr dieses Gerücht angehängt. Abseits der Improvisationsbühne kommen sie zu Wort, Face-To-Face mit der Kamera, Medea beim Palatschinken-Falten. Die Gesichter sind nicht verschwommen, nicht gepixelt, nicht von schwarzen Balken verunziert, sondern zur Unkenntlichkeit verziert. Deckend geschminkt, in weiß-grau-schwarz, leuchtend wie für den Karneval. Traurige Clowns, gespenstische Diven, wunderschöne gefallene Engel.

Frauen die Macht zur Selbstrepräsentation geben

“Gefängnisdokus sagen nie die Wahrheit. Es ist immer eine Konstruktion, das wollte ich auch sichtbar machen”, so Leisch. Sie habe den Frauen die Macht geben wollen, sich selbst zu präsentieren, ihren Alltag auf die Bühne, ihre Geschichte in ihre eigenen Worte zu bringen - ohne scheinbar objektivierenden Kommentar. 

Sie erzählen von sich als Täterinnen, von Einbruch, Kartenbetrug, Raub, von Raub, der zu versuchtem Mord wurde. Sie erzählen vom Ausgang, von der langersehnten Rückkehr nach Hause, den Schlägen betrunkener Väter und dem schnellen Rückfall. Sie erzählen vom verlorenen Koffer am Wiener Flughafen und den Polizisten, die ihnen bei der Suche halfen und die Drogen fanden. Sie erzählen von sechs Monaten Haftverlängerung, weil sie die Zellengenossin mit kochendem Wasser überschüttet haben. Sie erzählen von Vergewaltigung in der Kindheit und von der Überdosis der besten Freunde. Eine Geschichte gibt es immer.

Bewundernswerter Mut

Tina Leisch hat aus den Theaterworkshops und aus den Gesprächen eine eindringliche Collage des Menschlichen zusammengesetzt. Hat hinter juridische Termini, kriminalistische Sensationslust und auch hinter eine mitleidheischende Sozialstudie geblickt und ihre “Gangster Girls” ganz nahe an die Kamera geholt. Fast schmerzhaft nahe. Es ist zu hoffen, dass den Protagonistinnen ihr bewundernswerter Mut nicht selbst zu schmerzhaft wird. 

Aufregung füllt den Kulturraum der Justizanstalt Schwarzau. So etwas gibt es schließlich nicht jeden Tag: “Ich wollte, dass ihr ihn zuerst seht”, sagt Tina Leisch einleitend zu ihrem Dokumentarfilm “Gangster Girls”, der den Insassinnen des Frauengefängnisses schon am Dienstag, noch vor der Viennale-Uraufführung am 20. Oktober gezeigt wurde. “Denn ihr seid die, um die es geht.” Im abgeschlossenen Kinosaal sitzen jedoch nur noch drei der Frauen, die im Film vorkommen. “Ich glaube, das ist ganz gut, sonst wäre es wahrscheinlich sehr komisch”, resümiert Cindy, eine der drei.

Freiraum

Gemeinsam mit der Theatergruppe hatte Cindy beim Dreh vor etwa einem Jahr vor der Kamera gestanden und den Mut gehabt, ihre Geschichte zu erzählen. “Es war eine gute Erfahrung, eine Abwechslung”, berichtet die 26-Jährige. Zusammen mit dem Jugendgefängnis Gerasdorf erarbeitete die Truppe mit Tina Leisch eine Theaterproduktion: “Medea”. Daraus war schließlich die Idee entstanden, einen Film zu machen. “Beim Theaterspielen gibt es für die Frauen plötzlich einen Freiraum. Wo die Entmündigung einmal aufhört und sie sich spielerisch mit den Dingen auseinandersetzen können”, erklärt die Regisseurin. Genau darin habe sie die Chance gesehen, die Menschen hinter den Täterinnen zu porträtieren.

Wenn es persönlich wird

Gekicher erntet der Streifen schon beim Titel, wenn die “Gangster Girls” sich auf der Leinwand bewundern. Gelächter bricht aus bei manchen Improvisationsszenen aus dem Theaterworkshop. “Gewalt ist keine Lösung”, ratscht da etwa eine den Standardsatz aus der Therapie runter. Wenn auf der Leinwand gesungen und getanzt wird, versteckt sich manch ein Gesicht verschämt lachend hinter dem Sessel der Vorderfrau. Doch je länger der Film, je vielfältiger die Geschichten, je näher die Persönlichkeiten, desto stiller wird es im Saal. 

“Ich hab gar nicht mehr gewusst, was ich damals gesagt habe”, erzählt Cindy nach der Vorführung. “Diese Erinnerungen, auch an die anderen Mädchen, haben mich total getroffen.” Sie selbst habe viele Details aus deren Geschichten nicht gekannt. “Aber ich glaube es ist gut, wenn die Leute einmal sehen, wie es hier ist.” Auch die 30-jährige Sophia, die im Film vor allem durch ihren Gesang brilliert hat, ist “erfreut, dass es so ein Erfolg ist.” In der Theatergruppe habe man viele Konflikte ansprechen können und engen Zusammenhalt erlebt. “Und wir hatten viel Spaß.”

Mehr als nur Wegsperren

Eine solche Wirkung des Theaterspielens hatte sich Brigadier Gottfried Norberger, der Anstaltsleiter, von dem Projekt von Anfang an erhofft. “Das Leben besteht ja nicht nur aus Krankheitsbewältigung, es soll auch eine anspruchsvolle Freizeit geben”, erklärt er. Der Film sei eigentlich mehr ein Nebenprodukt gewesen. “Es ist eine Öffnung. Wir wollen, dass die Leute sehen, dass im Gefängnis mehr passiert als nur Wegsperren. Da sind Menschen, die gestraft werden - und wir können uns alle gar nicht vorstellen, was für eine starke Strafe der Entzug der Freiheit ist - aber diese Menschen haben ein Recht darauf, dass sie hier die besten Voraussetzungen für die Zeit nach der Entlassung bekommen.”

“Leute mit Problemen mit Leuten mit noch größeren Problemen einsperren”

Die Institution Gefängnis will Leisch mit “Gangster Girls” allerdings auch gezielt hinterfragen. “Ich weiß nicht, wie sinnvoll es ist, Leute mit Problemen mit Leuten mit noch größeren Problemen einzusperren”, so die Regisseurin, die das Gefängnis vor allem als “sozialen Raum” darstellen wollte. Die Spannungen zwischen den Insassinnen nehmen dann auch viel Platz im Film ein. Nicht zuletzt deshalb ist Cindy ganz froh, dass die meisten aus dem Film nicht mehr da sind. “Wir erkennen uns ja auch unter der Schminke.” (APA)