Gangster Girls: Kino im Häfen. Interview mit Tina Leisch


KURIER Online, 21.10.2008  [ > ]

Intelligente Lösungen für Nazi-Mädels 

Über die Kunstauffassung aus dem letzten Jahrhundert, Zwangsgemeinschaften und Therapie-Theater: Regisseurin Tina Leisch im KURIER Online-Interview.

KURIER Online: Wie waren die Reaktionen der Protagonistinnen auf deinen Film?

Tina Leisch: Ich glaub, es hat ihnen gefallen, aber ich erfahre das meistens um fünf Ecken - es sind nach dem Screening alle wieder schnell weggebracht worden. Zwei davon werden jedenfalls zur Viennale-Premiere kommen, die Sängerin darf da schon Ausgang nehmen und bei den beiden Vorstellungen dabei sein. Aber sie ist ja auch relativ mit sich im Klaren.

Grundsätzlich – Du hast ja schon ähnliche Theaterprojekte gemacht (Mein Kampf von George Tabori im Männerwohnheim Meldemannstraße, Elfriede Jelinkes Stecken, Stab und Stangl mit pensionierten Migrantinnen). Was ist dein Anliegen bei diesem Umgang mit bestimmten Räumen?

Es geht darum, dass Theater eine ganz konkrete Kraft hat als Medium, um sich Dinge zu vergegenwärtigen. Wir spielen ja im Alltag sowieso immer eine Rolle, aber oft eher unkontrolliert und unbewusst. In so einem Theaterraum jemand anderer zu sein und sich auszuprobieren, das ist ein unglaublich starkes Mittel. Dieses bürgerliche Bühnentheater, finde ich, verschenkt das alles. Es ist immer für dasselbe bildungsbürgerliche Publikum, im Schauspielhaus für die Jüngeren, Verrückteren und in der Josefstadt für die älteren Damen und Herren, aber das Spektrum ist im Prinzip gleich – Leute mit Matura und Studium. Ich finde das einfach schade, dass Theater - dort wo’s wirklich heftige Probleme gibt, gerade in diesem Bereich, wo Leute ungebildet sind, sich nicht auskennen in der Welt, immer zu wenig von allem haben – nicht benützt wird. Wo Leute nicht von vorneherein immer tolle Ausdrucksmöglichkeiten haben und die Verfügbarkeit der Welt – sich in diesem Bereich zu bewegen, das ist einfach total spannend. Und ich mache ja nicht Therapietheater, sondern ich mache das mit einem künstlerischen Anspruch. Da stoße ich immer wieder auf Grenzen, weil ja im Theaterbereich eine Kunstauffassung aus dem vorletzten Jahrhundert herrscht. Was in der Bildenden Kunst völlig klar ist - dass man keine Ölbilder mit richtiger Perspektive mehr malen muss, sondern dass ein Orgien-Mysterientheater oder eine Straßenperformance auch Kunst ist – das hat sich noch nicht herumgesprochen. Bei den Geldgebern – nicht bei der Stadt Wien, aber beim Bund – kommt der Vorwurf “Das ist Laientheater”. Das ist wirklich unglaublich, was für eine reaktionäre Vorstellung von Theater da noch in weiten Kreisen herrscht. Auch bei moderneren postdramatischen Geschichten ist der Dünkel genauso, da darf man dann wieder auf keinen Fall Text verwenden und muß performativ anspruchsvoll sein. Dabei  geht es doch eigentlich darum, eine intelligente Lösung zu finden, wie man in einem sozialen Raum mit Konflikten die Bühne und das Spielen verwenden kann, um hier künstlerisch was umzusetzen und Menschen etwas klar zu machen.

Bei den am Film beteiligten Leuten ist hier ja offensichtlich etwas aufgebrochen…

Schön, wenn man das gemerkt hat. Das war natürlich so – gerade die, die dort Probleme mit Drogen haben, oder schwere psychische Probleme, machen dort Therapien. Aber das Therapie-Setting ist so: “Du hast ein Problem, du denkst über dich nach, bei dir stimmt was nicht, da müssen wir draufkommen, dann müssen wir das reparieren.” Das Theater Spielen ermöglicht einfach zu spielen, ohne dass man das immer auf sich selber beziehen muss. Man kann zwar, aber das kann sich auch verschieben. Darum ist es ja auch nie gegangen, ob das ihre Geschichte [die der Protagonistinnen] ist. Es war einfach möglich, einmal ein anderes Bild von sich selbst zu bekommen, auch ein kritisches. Es hat sie beispielsweise gewundert, dass es uns wundert, wie es dort zugeht. Es geht in diesem Film ja auch viel um die Brutalität unter den Menschen dort - auch unter den Frauen - und darum, dass das kein Zufall ist. Wenn man Leute auf zu engem Raum in einer Zwangsgemeinschaft zusammensperrt, dann schürt das natürlich Aggressionen und führt dazu, dass Leute, die sowieso schon Probleme haben, einfach noch mehr Probleme haben. Es gab welche, die das Gefühl hatten, selbstbewusster zu sein, sich mehr zu trauen. Für eine Frau war es sehr wichtig für ihre Rolle in der Gruppe, sie war immer die, der man nichts zugetraut hat (auch bei den Beamtinnen, die wollten sie gar nicht mitmachen lassen). Der haben wir dann die Hauptrolle gegeben und sie ist total aufgeblüht. Sie ist dann entlassen worden, bevor das Stück aufgeführt worden ist, aber ich glaube, das war etwas Tolles für sie.

Da waren also auch strategische Überlegungen im Spiel…

Ja, es gab schon Momente, wo man überlegt, wer was macht. Wir hatten beispielsweise einen Afrikaner im Stück und in der Theatergruppe gab es da zwei so Nazi-Mädels, die haben wir natürlich sofort die Liebhaberinnen vom Afrikaner spielen lassen. Und dann haben sie sich erst ein bisschen gesträubt, und dann haben sie mit ihm hinter den Kulissen gemeinsam auf den Auftritt gewartet und herumgeblödelt und sich letztlich recht gut verstanden. Es hat ja keinen Sinn, jemandem zu erklären “Du bist deppert weil du Rassistin bist”. Was wird sie darauf sagen – “bin ich genau deswegen, weil ich so trotzig bin und will, dass mich alle deppert finden”. Das haben wir uns teilweise strategisch überlegt - weil es natürlich interessant ist, was für jemanden eine Herausforderung ist, wo jemand gefordert ist, sich in Frage zu stellen. Laiendarsteller sollen ja nicht sich selber spielen, das ist ein Missverständnis, sie sollen etwas spielen, was für sie eine Herausforderung ist, sogar möglicherweise das Gegenteil von sich selbst. Wo sie etwas ausprobieren können und weiterkommen können als sonst. Sonst macht man so ein Bauerntheater wo man den Dorftrottel mit dem Dorftrottel besetzt und der Lehrer spielt den Lehrer und der Pfarrer den Pfarrer. 

War gleich klar, dass da auch ein Film entstehen wird?

Ich hab ja so was schon einmal gemacht in Gerasdorf. Da haben wir eineinhalb Jahre an dem Stück gearbeitet und trotz einer kleinen Gefängnistournee haben das insgesamt 500 Leute gesehen, das ist kein besonders tolles Verhältnis von Aufwand und Ergebnis. Zu diesem Stück jetzt hat mich dann der Anstaltsleiter eingeladen, der hatte 50 Jahre Schwarzau zu feiern und der hat dann einfach mich gefragt – das war großartig, für das erste Stück habe ich schließlich lang genug betteln müssen…
Ich habe natürlich sofort zugesagt, und ich habe vorgeschlagen, dass wir einen Film machen, damit das endlich jemand sieht. Beim ersten Stück haben wir nicht einmal Pressefotos machen dürfen ohne zu retouchieren… Er meinte dann “Ja gut, machen wir”. Bedingung war nur, dass die Insassinnen nicht erkennbar sind. Ich wollte das zuerst gar nicht recht glauben und dann haben wir das tatsächlich einfach so gemacht. Die Glücksidee ist die Sache mit den Masken, die durch das Theaterstück ihre Legitimation haben. Sonst hätte man nur die klassische Gefängnis-Doku mit Silhouetten und “verkastelten” Gesichtern, das wird in eineinhalb Stunden Film doch langweilig…

Was ist das nächste Projekt?

Das sind drei Projekte, die schon längst hätten fertig sein sollen. Ein Theaterprojekt mit Roma,”Schneid deinen Ärmel ab und lauf davon!”,  das im Februar stattfinden wird. Ein weiteres Filmprojekt ist auch schon in Planung…

Gangster Girls (OmeU). Dokumentarfilm. Regie: Tina Leisch. Zu sehen bei der diesjährigen Viennale am 20.10.2008 um 21:00 sowie am 22.10.2008 um 13:30 im Urania Kino. Beide Vorstellungen finden in Anwesenheit von Regisseurin Tina Leisch und Produzentin Ursula Wolschlager statt, es werden auch Darstellerinnen anwesend sein.