Sammy Kovac: Der Verrat


Texte von Frauen aus der Justizanstalt Schwarzau (4)

Sammy Kovac war von 2003 bis 2007 in der JA Schwarzau inhaftiert. Sie ist eine der Protagonistinnen in Tina Leischs Film „Gangster Girls“. Im Laufe der Arbeit an dem Film begann sie zu schreiben. Hier Teil 4 Ihrer Erinnerungen.  Im ersten Teil (Der Tag) erzählte Sammy, wie sie wegen eines Spielzeugpistolenüberfalls auf eine Trafik ins Gefängnis kam. Im zweiten Teil (Das Leben in der Haft) berichtete sie über Konflikte unter den gefangenen Frauen. Im dritten Teil (Der Wasserkocher) erfahren wir, wieso sie in der Haft eine neuerliche Verurteilung bekam.

Den Verrat gibt es natürlich auch. Aus vielerlei Gründen: aus Neid, Eifersucht, Selbstschutz, weil eine der anderen etwas nicht gönnt, oder um eine andere zu schützen oder einfach, weil man selber einen Vorteil haben möchte. Ja, ich habe auch einmal jemanden verraten, aber ich habe es aus Selbstschutz gemacht und weil ich nicht mehr länger zu sehen konnte. Es war so. Ich hatte in Freiheit einen Freund. Geliebt habe ich ihn nicht so wirklich. Ich dachte, vielleicht schickt er dir ja Geld rein. Ich war schon lange eingesperrt. Er ist auch gesessen, schon des öfteren. Insgesamt hatte er schon 15 Jahre Gefängnis hinter sich. Ich dachte, vielleicht hat er sich geändert, denn dieses Mal musste er einige Jahre durch sitzen. Aber ich habe - um ehrlich zu sein - nach einiger Zeit gemerkt, dass er sich niemals ändern wird und immer wieder in Haft kommen wird. Anfangs, als er auch in Haft war, haben wir einfach nur miteinander geschrieben aus Zeitvertreib. Er war eh nett. Im Gefängnis war er im Metathonprogramm und bekam auch noch Praxiten. In den Briefen teilte er mir mit, dass er gerade einen Entzug macht. Ich glaubte ihm. Warum auch sollte ich ihm nicht glauben, denn ein Mensch kann sich ja ändern. Wir hatten dann auch einmal kurz vor seiner Entlassung einen Hausbesuch. Wir verstanden uns gut. Eine Bekannte von ihm sagte: „Gib ihm doch eine Chance und versuch es mit ihm!“ Sie hatte des öfteren auf mich eingeredet. Ich dachte: ja, warum nicht. Er war ja eigentlich ganz nett, und er macht einen Entzug und er möchte weg von den Drogen. Dann gab ich ihm eine Chance und ging mit Sven eine Beziehung ein. Ich fuhr am Ausgang immer zu ihm. Mir ist nicht aufgefallen, dass er junkt. Er hat mir zwar gesagt, er ist noch im Programm, aber er lässt sich schön langsam runter, nimmt jeden Monat etwas weniger. Aber er ging immer ins Badezimmer um sich einen Schuss zu setzen. Als ich dann darauf gekommen bin, sagte ich zu ihm, er soll damit aufhören, und eine Therapie stationär machen. Versprochen hat er es mir immer und immer wieder. Gehalten hat er es jedoch nicht. Irgendwann habe ich halt nicht mehr nur zu geschaut, und da habe ich halt auch auf jedem Ausgang etwas genommen.  Von Ausgang zu Ausgang immer mehr. Ich habe immer am Ausgang Tabletten genommen, die einen zu machen. Ich weiß den Namen nicht mehr, aber das ist nicht wichtig. Gespritzt habe ich nicht. Ich wollte, aber er hat es mir nicht gemacht. Außerdem hatte er immer nur eine Spritze für sich, und ich hätte niemals die gleiche Spritze benutzt. Was auch gut war, dass er es mir nicht gemacht hat. Ich konnte es mir nicht selber machen, ich war zum Glück zu feige dazu. Es war gerade Heiligabend als ich auf Ausgang ging. Ich besorgte mir schon im Zug etwas, und als ich angekommen war, war ich schon voll zu, weil ich noch Alkohol dazu trank. Dazu schluckte ich Substitol, was ich zuvor nie genommen hatte. Das hatte ich von ihm. Er gab mir eine Tablette und als er auf die Toilette ging, nahm ich mir einfach noch eine ohne sein Wissen, da ich noch nichts gespürt habe. Als er wieder kam, sagte ich nach einiger Zeit,er soll mir noch eine geben ,weil ich nichts davon spüre. Er gab mir dann noch eine dritte. Als er später wieder auf die Toilette ging, nahm ich wieder eine, da ich ja wusste, wo er sie hin gegeben hatte. Es fiel ihm nicht auf, dass ich mich selbst daran bediente. Am Anfang wollte er mir keine geben, weil er meinte, dass ich, wenn ich rein komme einen Harntest habe, ich sagte, nein, das habe ich mit Sicherheit nicht. Aber ich wusste ganz genau, dass ich einen Harntest haben werde, aber es war mir so was von egal. So habe ich an diesen Tag und am nächsten Tag einige Tabletten gegessen und hatte fast eine Überdosis. Ich konnte fast nichts trinken, essen konnte ich überhaupt nichts, ich konnte nicht einmal gerade stehen oder gehen. Ich bin so langsam gegangen. Als ich zurück ins Häfn kam, hatte ich Alkoholtest. Aber ich hatte ja keinen mehr getrunken, und den ich am ersten Tag des Ausgangs getrunken hatte, den hatte ich ja schon abgebaut gehabt, da das ja schon zwei Tage her war. Der Beamtin schaute ich nicht wirklich in die Augen. Aber sie hat es mit Sicherheit gemerkt, dass ich etwas genommen habe. Als ich in der Zelle war, legte ich mich sofort ins Bett. Meine Zellenkollegin wusste sofort, was los ist mit mir. Als ich am nächsten Tag arbeiten ging, sagte eine zu mir : „Wie schaust du aus? Du hast was genommen! Ist alles okay mit dir?“  Ich sagte:  „Ja, mir geht es gut.“ Aber mir ging es eine Woche total dreckig. Natürlich hatte ich Harntest. Zuerst dachte ich, ich gebe keinen Harn ab, und dann wollte ich einen abgeben, und konnte aber wirklich nicht. Wenn man keinen Harn abgibt, dann ist man automatisch positiv, und bekommt Ausgangsperre. Bei mir war es egal, ich wäre sowieso positiv gewesen. Ich denke im Unterbewusstsein habe ich das nur herausgefordert, dass ich Ausgangssperre bekomme, denn sonst hätte ich ja nichts genommen. Das war ein guter Grund um nach zu denken ob ich so weiter machen möchte. Ich habe mich bei Sven längere Zeit nicht gemeldet. Aber gecheckt hatte er es nicht, warum ich mich nicht mehr melde bei ihm. Ich habe dann mit ihm Schluss gemacht.
Nach drei Monaten Sperre durfte ich dann endlich wieder auf Ausgang gehen. Auf meiner Zelle war mit mir dann Sandra, und sie hat immer gejunkt und ich habe ihr so oft gesagt, sie soll das nicht machen, oder sie soll ihre Sachen aus der Zelle schaffen. Die Spritzen los werden, damit sie nichts finden, wenn sie die Zellen filzen, denn ich wollte keine Probleme haben, da ich die einzige war, die Ausgänge hat. Ich habe es ihr schon so viele Wochen immer wieder gesagt. In der Arbeit sprach ich schon oft mit meiner besten Freundin Jenny , was ich tun soll. Jenny riet mir, ich soll es unserer Arbeitschefin sagen, sie kann mir helfen. „Du musst auf dich schauen, denn du bekommst Probleme, wenn sie es finden.“ Ich wusste, Jenny sagt nichts, egal wie ich mich entscheide. Ich hab das nicht mehr mit ansehen können. Tag  für Tag habe ich Sandra gebeten, dass sie das Zeug vernichten soll. Sie tat es einfach nicht. Sie sagte dann, sie habe die Spritzen weggeschmissen, aber sie log mich an. Sie tat es weiterhin. Ich sprach wieder mit Jenny. Kurz vor Arbeitsschluss ging ich zur Beamtin und fragte, ob ich mit ihr kurz unter vier Augen sprechen kann. Sie sagte, ich kann eh sprechen, ihre Kollegin sagt nichts weiter und wir machten die Türe vom Büro zu. Mir ist es so schwer gefallen, es zu sagen. Mir kamen die Tränen, ich habe geweint und gezittert am ganzen Körper, denn es tat mir so leid, dass ich Sandra verrate, aber ich sah keinen anderen Ausweg, da wir schon so oft gefilzt worden waren. Ich habe fast nichts gesagt. Die Beamtin fragte: „Geht es um Drogen?“  Ich nickte. Sie fragte, ob es in meiner Zelle sei, ich nickte, die andere Beamtin fragte, ob es Sandra sei, ich nickte. Dann fragten sie mich, ob ich auch etwas genommen habe. Ich sagte : „Nein, ich wollte und Sandra hat versprochen, sie macht es mir, wenn sie wieder etwas hat, aber dann hat sie gesagt : nein sie will mir nichts junken, da ich noch nie gejunkt habe.“ Sie fragten mich, wo das alles versteckt ist, und ich sagte ihnen das. Die Beamtin gab dem Kommando Bescheid, dass sie unsere Zelle nochmals filzen sollen. Sie sagte ihnen natürlich auch, wo Sandra die Sachen versteckt hatte. Sie sagten mir auch, dass sie auch meine Sachen durchsuchen werden zum Schein. Dass es nicht auffällt, dass ich es verraten habe. Als ich in die Zelle kam, durften wir nicht rein, weil sie gerade filzen. Wir wurde in der Zeit, während der sie unsere Zelle durchsuchten, in den Klubraum eingesperrt. Am nächsten Tag musste ich noch zum Kommandanten, und ihm alles noch einmal erzählen. Woher sie es bekommt, da ich das wusste, sagte ich es ihm, denn es gab kein Zurück mehr. Der Kommandant fragte, ob ich verlegt werden möchte und ich sagte ja. Ich wollte wieder rauf  in den Erstvollzug. So oder so habe ich vor gehabt nach oben zu gehen,  denn auf die Jugendabteilung durfte ich nicht mehr. Der Kommandant sagte zu mir, ich sei sowieso für den Erstvollzug qualifiziert. Er fragte mich, ob ich noch bis morgen in der Zelle bleibe. Ich sagte: „Nein, wenn es geht möchte ich noch heute rauf auf den Erstvollzug.“  Er hat dann veranlasst,  dass ich noch im Laufe des Tages rauf kam. Ich wurde wieder zurück in die Arbeit gebracht und meine Arbeitschefin fragte mich vor allen zum Schein, ob es mit der Verlegung geklappt habe. Ich sagte: „Ja, danke, dass Sie  für mich ein gutes Wort eingelegt haben.“ Eine Stunde später wurde ich von der Beamtin vom Erstvollzug geholt wegen dem umsiedeln. Ich konnte nicht mehr länger in der Zelle bleiben, denn ich konnte Sandra nicht mehr in die Augen schauen. Nach einigen Wochen traf ich Sandra, und ich habe mich bei ihr entschuldigt, und ihr erklärt warum ich es gemacht habe. Sandra sagte zu mir: „Danke, du hast mir damit die Augen geöffnet, dass es so nicht weiter gehen kann.“  Ich weiß nicht, ob sie das ehrlich gemeint hat oder nicht. Sie sagte, sie ist mir deswegen nicht böse. Ich habe damals lange überlegt, was ich machen soll. Sag ich es oder sage ich es nicht? Es war wirklich keine leichte Entscheidung. Eigentlich haben es eh alle gewusst, dass ich es gesagt habe, aber natürlich habe ich es bestritten. Denn es sieht keiner in Haft gerne, wenn einer jemanden verratet. Aber was hätte ich tun sollen? Es dachten ja alle, dass ich eh nur deswegen in den Erstvollzug gekommen bin, aber das war nicht so, denn ich hätte sowieso wieder in den Erstvollzug gedurft. Das hatte damit nichts zu tun. Ich wollte sowieso aus dieser Zelle hinaus.
Ich weiß nicht, ob es richtig war, dass ich Sandra verraten habe oder ob es falsch war. Das weiß ich bis heute nicht. Ich dachte damals, dass es besser ist für mich, wenn ich es sage, denn ich war ja die einzige,  die in dieser Zelle Ausgang hatte, und das wäre das Naheliegendste gewesen, wenn ich ihr das mitgebracht hätte. Na, ja und vielleicht hat es ihr ja auch wirklich geholfen und sie ist jetzt clean. Ich habe zwar mal gehört von jemanden, dass sie noch drauf ist, aber ob das stimmt weiß ich nicht, aber ich kann es mir gut vorstellen, dass sie niemals mit den Drogen auf hört.